SPECIAL INPUT: Christian Schwägerl

Der Kampf um das Anthropozän: Was steht auf dem Spiel?

Im Jahr 2000 machte der Nobelpreisträger Paul Crutzen den Vorschlag, das Anthropozän auszurufen – eine nach dem Einfluss des Menschen auf die Erde benannte neue Erdepoche. Seitdem ist der Begriff in aller Munde. Viele sehen in ihm einen neuen Denkrahmen für die Beziehung von Mensch und Natur, andere wiederum eine ungute Fixierung auf den Menschen. Christian Schwägerl lotet in seinem Gastbeitrag die Potenziale und Gefahren eines heiß umkämpften Begriffs aus, der weit mehr als eine physische Zustandsbeschreibung unseres Planeten ist. 

Planetare Gesundheit

Ein epochales Ereignis nach fünfzehn Jahren harter wissenschaftlicher Arbeit – so hatte sich eine erlesene Gruppe von Geologen den nächsten Weltkongress ihrer Disziplin Ende August im südkoreanischen Busan vorgestellt. Dort wollten sie vor Tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine neue Zeitrechnung offiziell vorstellen: das Anthropozän. Es sollte das aktuelle Holozän ablösen, das die 11.700 Jahre währende Warmperiode seit der letzten Eiszeit umfasst. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts, argumentieren die Forscher, hat Homo sapiens die Erde so tiefgreifend verändert, dass dies für Hunderttausende Jahre spürbar und messbar sein wird.

Schon seit 2009 haben die 33 Mitglieder der sogenannten Anthropocene Working Group (AWG) Belege für eine solche „Menschenzeit“ gesammelt. Akribisch haben sie die vielen Spuren der Menschheit dokumentiert – vom Fallout der Atombombentests über Klimawandel und Artenschwund bis zu allgegenwärtigen Materialien wie Beton und Plastik. 2023 hat die Gruppe den Crawford Lake in Kanada zum Referenzort des Anthropozäns bestimmt, da auf dessen Grund ein natürliches Archiv menschengemachter Substanzen entstanden ist.

Doch aus der geplanten Epochen-Verkündung wird bis auf Weiteres nichts. Denn die Empfehlung der AWG, die neue Erdepoche auszurufen, stößt bei den höheren Gremien der Geologie auf Granit. Die Führungsspitzen der Organisationen, die die Erdgeschichte in Kapitel und Unterkapitel einteilen, lehnen den Anthropozän-Vorschlag ab. In der Erdwissenschaft ist ein erbitterter Streit ausgebrochen. Was steckt dahinter?

Der Mensch als geologische Kraft

Angefangen mit Alexander von Humboldt versuchen Wissenschaftler schon seit Jahrhunderten, den Einfluss des Menschen auf die Erde zu erfassen. Ende des 19. Jahrhunderts tauchte erstmals die Idee auf, die menschlichen Umweltveränderungen könnten so gewaltig sein, dass sie einen Platz auf der langen Zeitskala der Geologie verdienen. Damals schrieb der Biologe Ernst Haeckel von einer anbrechenden „Menschenzeit“ und der italienische Geologe Antonio Stoppani von einer „anthropozooischen Ära“.1 Im Jahr 2000 dann machte der damals am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz tätige Nobelpreisträger Paul Crutzen den Vorschlag, das Anthropozän auszurufen.2 Darin steckt das altgriechische Wort „anthropos“ für „Mensch“. Die Endsilbe -zän benutzen Geologen für eine Abfolge von Erdepochen seit dem Aussterben der Dinosaurier. 

Crutzen saß noch der Schock in den Gliedern, dass die Menschheit mit den FCKW-Kühlgasen beinahe die Ozonschicht zerstört hätte, die das Leben auf der Erde gegen kosmische Strahlung schützt. Für die Erforschung der Ozonschicht hatte er den Nobelpreis erhalten. 2009 dann kamen in den altehrwürdigen Gemäuern der Gelehrtengesellschaft Geological Society of London Wissenschaftler zusammen, um den Vorschlag zu debattieren. Damit begann eine fünfzehn Jahre dauernde Untersuchung, die ein eindeutiges Ergebnis hatte: Crutzen hat recht.

Geologische Spuren unseres Lebens fand die Anthropocene Working Group rund um die Welt: Wir Menschen schaffen Städte aus Gestein, Metall und Glas, die sich über immer größere Teile der Landmasse erstrecken. Wir synthetisieren Mineralien sowie neuartige radioaktive Isotope und Elemente, die sich in Gesteinsschichten ablagern. Wir legen Hunderttausende Kilometer Straßen, Eisenbahnstrecken und Kabel an, die aus langlebigen Materialien bestehen, und bohren Zehntausende Kilometer Tunnel in Berge. Zu den Hinterlassenschaften unserer Zeit zählen auch riesige Mengen Fossilien – die Knochenrückstände von Hühnern, Rindern und Schweinen, deren Biomasse längst die der wildlebenden Landwirbeltiere um ein Vielfaches übersteigt, ebenso wie „Technofossilien“, also die Überreste von Milliarden Maschinen. Die Geologen errechneten, es sei bereits so viel Beton hergestellt worden, dass auf jeden Quadratmeter Erde ein Kilogramm kommt, und so viel langlebiges Plastik, um die Erde einmal in Folie einzuwickeln. 

Dass der menschengemachte Klimawandel die nächste Eiszeit verhindern dürfte und Millionen von Arten zu verschwinden drohen, macht unser heutiges Handeln vollends zum Langzeitphänomen. Wer glaubt, die Menschheit kratze nur ein bisschen an der Oberfläche des Planeten, liegt demnach falsch: „Die Erde hat nicht nur durch den Klimawandel, sondern durch eine Vielzahl zusammenwirkender Faktoren einen völlig neuen Zustand erreicht, den es vorher noch nie gegeben hat und der sich von der ganzen bisherigen Erdgeschichte fundamental unterscheidet“, sagt der britische Geologe Jan Zalasiewicz, der die Untersuchungen initiiert hat. Er warnt: „Wir regieren im Moment so tief in die Zukunft hinein, wie das noch nie zuvor Menschen gemacht haben.“3

Kritik an der Anthropozän-Idee 

Die Anthropozän-Idee traf allerdings schon von Anfang an auf Widerstand. Die Kritik von Geologen richtete sich schon länger dagegen, nach wenigen Jahrzehnten der Veränderung eine neue Erdepoche auszurufen. Erdwissenschaftler haben bisher fast ausschließlich in die Vergangenheit geschaut und Schicht um Schicht freigelegt, was sich über Millionen Jahre auf der Erde getan hat. Sie beschäftigen sich zwar auch mit tagesaktuellen Ereignissen – von der Eignung einer Region zum Ölbohren über die Vorhersage einer Vulkanexplosion bis zur Erforschung von Tsunamis. Doch der Einfluss des Menschen hat bisher in der geologischen Zeitrechnung keine große Rolle gespielt. Nicht wenige Geologen denken, dass sich das menschliche Tun noch nicht zu einem so gewaltigen Signal summiert, dass es eine Epoche rechtfertigen würde. 

Andere Kritik kam aus den Geisteswissenschaften – gegen die Verallgemeinerung, von einer Erdepoche „des Menschen“ zu sprechen. Schließlich besteht die Menschheit aus Milliarden Individuen, die in Tausenden von Kulturen, Sprachräumen und Traditionen leben. Kann „der Mensch“ als solcher überhaupt Akteur der Erdgeschichte sein? Auch die Verantwortung für den Klimawandel ist extrem ungleich verteilt. Ein Großteil früherer CO2-Emissionen kam aus Europa und Nordamerika. Noch heute sind die Unterschiede riesig, wenn ein durchschnittlicher Amerikaner oder Europäer das Vielfache der Emissionen eines durchschnittlichen Inders oder Äthiopiers verursacht. Millionen Menschen in indigenen Völkern leiden unter den brutalen Folgen des westlichen Konsums, wie im Amazonas oder auf Borneo, wo vor ihren Augen der Regenwald als Lebensgrundlage verschwindet. 

Alle diese Menschen sind auch „anthropos“, aber sie sind nicht für die großen globalen Probleme verantwortlich. Das Wort „Anthropozän“, wenden Kritiker ein, schiebt allen „anthropos“, allen Menschen, die gleiche Mitschuld an den heutigen Problemen in die Schuhe. So betrachtet, würde der Begriff den armen Slumbewohner in Indien, der ums Überleben kämpft, in eine Art globale Sippenhaft für das verschwenderische Verhalten vor allem von Amerikanern und Europäern und neuerdings Chinesen nehmen. Definiert man das Anthropozän nur als Summe aller Umweltfrevel, müsste man konsequenterweise vom „Westozän“ oder „Kapitalozän“ sprechen, für den amerikanisch-westlichen Lebensstil, der einen Großteil der Probleme verursacht, forderten Kritiker.

Eine weitere Form der Kritik am Anthropozän kommt vor allem von Umweltschützern. Bei vielen von ihnen grassiert die Angst, die Anthropozän-Idee könnte einer gefährlichen Technokratie Vorschub leisten und im Kern anthropozentrisch sein, also die Welt allein vom Menschen her betrachten und sie seinen Bedürfnissen unterordnen. 

Der deutsche Biologe und Buchautor Andreas Weber schreibt: „Die anthropozäne Position teilt mit der Idee der grünen Wirtschaft die zugrunde liegende anthropozentrische Annahme – dass wir von einem einzigartig menschlichen Standpunkt aus beginnen können (oder sogar müssen), um mit den Problemen der Nachhaltigkeit fertig zu werden. (…) Im Denken des Anthropozäns hat sich die Kluft zwischen Natur und Kultur aufgelöst, nicht weil die Menschen zu einem anderen Verständnis des Lebens und ihrer Rolle darin gekommen sind, sondern weil ihre Technologie die Natur verschluckt hat.“4

Die Soziologin Eileen Crist von der Virginia Tech sieht in der Anthropozän-Idee eine ungute Fixierung auf den Menschen: „…dieser Name ist weder ein nützlicher konzeptueller Schachzug noch ein empirischer Denkanstoß, sondern vielmehr eine Reflexion und Verstärkung der anthropozentrischen handlungsorientierten Weltsicht, die das ‚Anthropozän‘ – mit all seinen drohenden Notlagen – überhaupt erst hervorgebracht hat.“5 

Paul Crutzen ist an dem Vorwurf, das Anthropozän sei möglicherweise eine technokratische und anthropozentrische Idee, nicht ganz unschuldig. In seinem Nature-Artikel Geology of Mankind von 2002 hat er formuliert: „Den Wissenschaftlern und Ingenieuren steht eine gewaltige Aufgabe bevor, um die Gesellschaft in der Ära des Anthropozäns zu einem ökologisch nachhaltigen Management zu führen. Dies wird ein angemessenes menschliches Verhalten auf allen Ebenen erfordern und kann durchaus international akzeptierte, groß angelegte Geoengineering-Projekte beinhalten, zum Beispiel zur Optimierung des Klimas.“

Ist die Anthropozän-Idee also vielleicht wirklich ein Vehikel für eine undemokratische Gelehrtenherrschaft oder sogar für eine weitere Erscheinungsform menschlichen Größenwahns? Würde eine „Menschenzeit“, unterrichtet in allen Schulen der Welt, nicht das Gefühl verstärken, dass die Erde unser Eigentum ist und wir damit tun und lassen können, was uns gerade einfällt?

Später ging Crutzen zu seinen Geoengineering-Äußerungen auf Distanz. Er wolle nur sichergestellt wissen, dass es für den absoluten Katastrophenfall Techniken gäbe, die Erde schnell abzukühlen, beteuerte er. Entscheidend seien eine Reduktion der CO2-Emissionen und ein maßvoller Lebensstil.

Chancen des Anthropozäns

Alle Kritikpunkte adressieren wichtige Fragen – aber es entsteht ein anderes Bild, wenn man die neue Erdepoche nicht nur als Summe aller Umweltprobleme definiert und als Fortsetzung alter Zeitbegriffe, sondern als ergebnisoffene Einladung, all dies zu hinterfragen, ja als kollektives Gestaltungsprojekt. Dann ergibt sich eine neue Perspektive. „Das Anthropozän ist ein Prozess, der über sich selbst reflektiert“, sagte der Historiker Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte.6

Das Anthropozän könnte demnach eine Art Forum bilden, in dem alle Kulturen gleiche Geltung haben und alle Menschen gleich im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 behandelt werden. Indem die Anthropozän-Idee „den Menschen“ zum Akteur ernennt, würden auch indigene Völker als moderne und gleichberechtigte Akteure definiert, die an der Geologie der Zukunft mitwirken sollten, statt Opfer anthropozäner Veränderungen zu werden.

Indigene Völker würden nicht mehr fälschlicherweise als Anhänger einer angeblich vormodernen, primitiven Lebensweise dastehen, sondern als gleichberechtigte Zeitgenossen. Das könnte sie darin bestärken, dagegen vorzugehen, dass derzeit ein Teil der Menschheit zum Beispiel Klima und Biodiversität für den eigenen Kurzfristnutzen verändert, ohne langfristige und globale Rücksichtnahme auf einen anderen Teil der Menschheit. Das Anthropozän wäre in diesem Sinn mehr als eine rein physische Zustandsbeschreibung, sondern ein ethischer Anspruch und ein Wegweiser, der Beginn eines tiefgreifenden Umdenkens.

Nicht ohne Grund traf Crutzens Vorschlag einen Nerv. Führende Politiker, UN-Organisationen und Wissenschaftler aller Disziplinen begannen, das Wort wie selbstverständlich zu benutzen. Zahlreiche Kulturveranstaltungen, Bücher und Ausstellungen widmeten sich dem Anthropozän, weil es einen neuen Denkrahmen für die Beziehung von Mensch und Natur bietet. 

Bisher wird zwischen zwei Formen von „Geschichte“ unterschieden: Da ist die Geschichte der Herrscher, Kriege und Völkerwanderungen. Und dann gibt es die Geschichte aus dem Biologieunterricht, die Erdgeschichte, in der es um die Evolution von Tieren und Pflanzen, um Klimaveränderungen und Gebirgsbildung geht. Die Anthropozän-Idee besagt nun: Menschheitsgeschichte und Erdgeschichte sind eins geworden. Demnach bestimmen wir Menschen von heute die Lebensbedingungen auf der Erde für extrem lange Zeiträume – sind also selbst zur Naturgewalt geworden. Der deutsche Geologe Reinhold Leinfelder, Mitglied der AWG, spricht statt von der „Umwelt“ von einer „Unswelt“ des Anthropozäns. Hier läge eine große Chance des Begriffs. 

Das Urteil der geologischen Führungsgremien

Doch zumindest die Geologie hat sich vorerst aus der Debatte verabschiedet. Die Mitglieder der AWG betonten stets, dass sie streng nach geologischen Kriterien vorgehen. Ihnen zufolge ist eine neue Erdepoche davon gekennzeichnet, dass es weltweit zu tiefgreifenden Veränderungen kommt, die für extrem lange Zeiträume messbar sind. Der britische Geologe Colin Waters, seit 2020 Vorsitzender der AWG, zeigt sich überzeugt, dass dies zutrifft: „Es gibt einen eindeutigen, abrupten und weltweit anerkannten Übergang von der bisherigen Erdepoche, dem Holozän, zu etwas Neuem“, sagt er. Es gebe „in Summe ein ausreichendes Level an Veränderungen, um eine neue Erdepoche zu definieren“.7

2023 wählte die AWG aus zwölf Kandidaten rund um die Welt den Crawford Lake in Kanada zum Referenzort aus. Weitere Kandidaten waren etwa der Meeresboden der Ostsee, Korallenriffe mit Plutoniumeinlagerungen und ein Ort in der Antarktis gewesen, an dem das Eis schmilzt. Der Crawford Lake überzeugte, weil sich auf seinem Grund seit Jahrhunderten Spuren menschlichen Tuns ablagern und dort konserviert werden. „Was von oben herunterkommt – etwa die Flugasche aus Kohlekraftwerken und das Plutonium von Atombombentest – bleibt dauerhaft dort unten“, betonte die Geologin Francine McCarthy, „und es wird fein säuberlich in jährlichen Schichten abgelagert“.8

Doch dann kam alles ganz anders, als es die Forscher der AWG erwartet hatten. Obwohl die Führungsgremien der Geologie sie über viele Jahre ermuntert hatten, die Belege für das Anthropozän zu sammeln, blockierten sie den finalen Vorschlag kurz vor der geplanten Verkündung beim Weltkongress der Geologie im südkoreanischen Busan. Ende März erklärte die International Union of Geosciences (IUGS), das Anthropozän werde „nicht als offizieller geologischer Begriff anerkannt.“9 Die Organisation kritisiert, dass menschliche Einflüsse auf die Erde schon weit vor der Mitte des 20. Jahrhunderts begonnen hätten und dass eine neue Epoche nicht wegen Veränderungen innerhalb einer Menschengeneration ausgerufen werden könne. 

Anthropozän-Forscher Zalasiewicz hält das Nein für einen großen Fehler. Er wirft den Kritikern sogar Trickserei bei einer wichtigen Abstimmung vor. Die Geologie dürfe nicht die Augen davor verschließen, „dass wir die Erde für immer verändern“, fordert er. Die vom Menschen verursachten Umweltveränderungen seien „unabhängig von einer formalen Anerkennung sehr real – und brauchen unser aller Aufmerksamkeit.“10 

Immerhin zollte auch die IUGS dem Vorschlag Crutzens Respekt. Das Spitzengremium der Geologie erwartet, dass der Begriff Anthropozän „auch in Zukunft nicht nur von Erd- und Umweltwissenschaftlern, sondern auch von Sozialwissenschaftlern, Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern sowie von der breiten Öffentlichkeit verwendet wird“, heißt es in der Stellungnahme. Als solcher werde er eine „wertvolle Beschreibung für die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt bleiben“.


Fußnoten
10

Ernst Haeckel: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin 1868; Antonio Stoppani: Corso di geologia. Vol. I-III. Mailand 1873.

Paul J. Crutzen, Eugene F. Stoermer: The „Anthropocene“. In: IGBP Global Change Newsletter. Nr. 41, Mai 2000, S. 17-18.

Christian Schwägerl: Anthropozän-Forscher: „Die Erde hat einen völlig neuen Zustand erreicht“. In: RiffReporter, 17. Juli 2023. 

Andreas Weber: Enlivenment. Eine Kultur des Lebens: Versuch einer Poetik für das Anthropozän. Berlin 2016.

Eileen Crist: On the Poverty of Our Nomenclature. In: Environmental Humanities 3. 2013, S. 129-147.

Aussage mündlich im Rahmen des „Anthropozän-Projekts“ am Haus der Kulturen der Welt. Siehe auch Jürgen Renn, Bernd Scherer: Das Anthropozän. Verlag Matthes&Seitz, Berlin 2015.

Christian Schwägerl: Anthropozän-Forscherin: „Der Crawfordsee ist weltweit einzigartig“. In: Frankfurter Allgemeine Online, 13. Juli 2023.

Simon Turner, Colin Waters, Jan Salasiewicz, Martin J. Head: What the Anthropocene’s critics overlook – and why it really should be a new geological epoch. In: The Conversation, 12. März 2024.

Ebd.

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Das Holozän ist der gegenwärtige Zeitabschnitt der Erdgeschichte. In der Chronostratigraphie und der Geochronologie ist das Holozän eine Epoche und begann laut Beschluss der International Commission on Stratigraphy vor etwa 11.700 Jahren mit der Erwärmung der Erde am Ende des Pleistozäns.

Die Anthropocene Working Group (AWG) ist eine interdisziplinäre Forschungsgruppe, die sich der Erforschung des Anthropozäns als Erdepoche widmet. Sie wurde 2009 als Teil der Subcommission on Quaternary Statisgraphy (SGS) gegründet, einem konstituiernden Organ der International Commission on Statisgraphy (ICS). Das Hauptziel der AWG ist es, wissenschaftliche Beweise zu liefern, die robust genug sind, damit das Anthropozän von der International Union of Geological Sciences (IUGS) offiziell als Epoche innerhalb der geologischen Zeitskala anerkannt wird.

Der Ingenieur und Chemiker Thomas Midgley vom Autokonzern General Motors hatte im Jahr 1929 erstmals Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) hergestellt. Sie wurden fortan vor allem als Treibgas in Haarspray und als Kühlgas in Eisschränken und Gefriertruhen eingesetzt. Obwohl es bereits 1974 eine erste Warnung gab, das Sonnenlicht könne aus diesen FCKW „Chlor-Radikale“ abspalten, die Ozon zerstören, reagierte die Weltgemeinschaft erst 1987. Im Jahr 1990 wurde die Herstellung von FCKW offiziell verboten.

Geoengineering umfasst zielgerichtete, meist großflächige Eingriffe in das Klimasystem mit dem Ziel, die vom Menschen gemachte Klimaerwärmung zu mildern. Ein Beispiel ist die sogenannte Ozeandüngung, bei der ein Teil des atmosphären CO2 im Meer gespeichert und so die CO2-Konzentration der Atmosphäre gesenkt werden soll.

Plutonium ist ein unvermeidliches Nebenprodukt der Energiegewinnung in Atomkraftwerken.

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Äußerst interessanter Artikel, vielen Dank! Ich finde vor allem den Kommentar, dass die Anthropozän-Idee die Menschheitsgeschichte und Erdgeschichte vereint, einen super spannenden Ansatz. Diesbezüglich möchte ich auf einen versöhnlichen Vorschlag von Gibbard und Kolleg*innen verweisen: Diese schlagen vor, das Anthropozän nicht als Epoche, sondern als geologisches Event zu definieren (Nachzulesen bei https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/jqs.3416). Ich finde, dieser Ansatz nimmt einerseits den Ernst der Lage wahr, andererseits betont er die nicht zu unter-schätzende Kritik an der althergebrachten menschlichen Über-schätzung.

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Hallo Alex Putzer, der Event-Begriff ist dazu zwar unbrauchbar (da viel zu unterschiedlich verwendet), aber ja, bereits frühere anthropogene Veränderungen und den immensen Impakt des Menschen seit Mitte des 20. Jahrhunderts zusammendenken, ist natürlich richtig und wichtig. Allerdings wäre der direkte Vergleich des erdsystemaren Fußabdrucks des Menschen im späten Pleistozän und dann im Holozän etwa wie der Vergleich des Effekts einer Gewehrkugel und einer Atombombe. Wir (d.h. die Anthropocene Working Group) haben dazu etliche Papers, auch direkte Antworten auf Gibbard et al. geschrieben und Vorschläge dazu gemacht. Eine (von uns vorgeschlagene) ‘Anthropogenic Modification Episode’ (nicht Event) umfasst alles obige, also das Anthropozän und seine Vorgeschichte. Namen für diese AME können auch sein Anthropolithicum, Technolithicum o.ä. (sie würden das Anthropozän am Top beinhalten), oder auch Pre-Anthropocene oder Proto-Anthroprocene (darauf läge dann das Anthropozän). Zwei unserer Papers (auch als Antwort auf Gibbard et al) dazu: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0012825222002550 und https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/jqs.3467 bzw. meine letztem Blogposts auf dem Anthropozäniker-Blog, insb. https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/anatomie-eines-falls/ (v.a. Kap. 3 und Kap. 7.3 (dort v.a. Abb. 6)

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Vielen Dank, Herr Prof. Leinfelder, für die Links und die Klarstellung. Sofern ich das beurteilen kann wirkt die AME wirklich wie eine gute Zusammenfassung des bisherigen geologischen Menschseins auf diesem Planeten. Wenn ich mir insbesondere Abb. 6 in Kap 7.3 des Anthropozäniker-Blogs anschaue, dann komme ich nicht umher mir vorzustellen, dass es mit zunehmendem Wissen auch für nicht-menschliche (nicht-tierische!) Akteure eine derartige Episodisierung (Fragmentierung?) geben könnte (sollte?). Andersgesagt, bei Berücksichtigung aller Nuancen kann man schlussendlich nie mehr von kohärenten Epochen sprechen - auch vor dem Menschen nicht - sondern ausschließlich von zahllosen episodischen Gleichzeitigkeiten (was dann zu einer sukzessiven Auflösung der ‘chronostratigraphic boundaries’ führt)? Das spiegelt dann zweifelsfrei eine komplexe geologische Realität besser wider. Eventuell verkompliziert es aber auch eine effiziente Suche nach gemeinsamen Nennern, die unabdinglich für die Findung politischer Lösungen sind.

Der Sprung von Geologie zu Politik ist keinesfalls direkt. Ich will keine Äpfel mit Birnen und schon gar keine Gewehrkugeln mit Atombomben vergleichen. Aber irgendwie bleibt doch ein Beigeschmack des Überfokus auf den Menschen, wenn die AME von allen gleichzeitig passierenden Episoden die wichtigste wird (ist wohl meinem Hintergrund im Gebiet der Rechte der Natur geschuldet).

Vielleicht hilft eine Analogie: Nicht alle Menschen leben im Jahr 2024. Und damit mein ich nicht, dass manche in den 90ern hängengeblieben sind. In Äthiopien schreiben manche das Jahr 2016, die jüdische Zeitrechnung steht bei 5784, die muslimische bei 1445. Um sich aber miteinander verständigen zu können, braucht es unausweichlich eine, wenn auch temporäre, Einigung: Wir treffen uns um X. Wenn man nun das Jahr 2024 nimmt, dann akzeptiert man bewusst oder unterbewusst die Vorherrschaft der christlichen Zeit. Bei anderen wäre es anders. Wenn man das AME als neue geologische Zeiteinheit bestimmt, dann isoliert und hebt man (wieder mal) die Wichtigkeit des menschlichen Einflusses hervor, welche ja, wie Sie schreiben, da ist. Aber es stellt trotzdem andere Einflüsse, die es in ihrer Gesamtheit ja auch noch weiterhin gibt (in Abb. 6 ‘sediments lacking direct anthropogenic modification’), in den Hintergrund. Wird die Geologie mit solch einer Einführung also wohl oder übel, unausweichlich sogar, anthropozentrischer?

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Lieber Herr Putzer, danke für Ihre Antwort. Hier der Versuch einer Spätabendantwort: Das Anthropozän wäre m.E. sehr missverstanden, wenn man es als anthropozentrisch bezeichnen würde. Es ist eben gerade weder anthropozentrisch noch biozentrisch, sondern verbindet beides - ich spreche gerne von “anthropozänisch” (weswegen mein Blog bei Scilogs auch “der Anthropozäniker” heißt (erreichbar auch via http://www.anthropocene.de ). Also weg von einer uns distant umgebenden Umwelt (in der wir uns nicht wirklich verortet fühlen), hin zu einer “Unswelt” (im Sinne von: das ist unser aller Welt, also aller Pflanzen, Tier, Menschen, Algen, Bakterien etc.). Und die Anthroposphäre steht in dauernder Interaktion mit allen weiten Sphären des Erdsystems.

Wegen der verschiedenen Kalender: ja, das Problem ist mir bewusst. Wir sprechen in der Geologie bei absoluten Altersdatierungen gerne von “before Present”, das wäre 1950 (nach unserem Kalender, aber das kann man dann eben mit anderen Kalendersystemen korrelieren, ein Alter before Present ergäbe dann immer dasselbe Alter in Jahren.

Und noch kurz zu den Sedimenten. Ja, es gibt natürlich schon noch Sedimente, die überwiegend noch ohne starken anthropogenen Einfluss sind, also keine durchgängige “Technosphäre” bilden. Dennoch findet man anthropozäne “Technofossilien” quasi überall, auch in unberührt erscheinenden Sedimenten - und zwar viel einfacher als etwa “Leitfossilien” zur Jura-Zeit. Ich muss z.B. ganz schön hämmern, um endlich mal einen Ammoniten in Juragesteinen zu finden, aber Mikroplastikpartikel sind heute schon überall in den jungen, anthropozänen Sedimenten - in Tiefseesedimenten genauso wie in Bergseen, in Mooren, Böden, Korallenriffen usw usw (in Flüssen und Seen sowieso). Ja, und wir übernehmen sehr viele geologische Prozesse: wir tragen ganze Berge ab, transportieren viel mehr Sediment, als natürlichen Prozessen entspräche, bestimmen, wo Flüsse fließen sollen, schaffen lauter neue Seen (als Stauseen, in denen auch das Sediment abgefangen wird, also nicht mehr bis in die Deltas gelangt), bestimmen, was wo und wie leben darf, heben auch noch den Meeresspiegel und erwärmen das Klima, Dennoch würde ich nicht davon sprechen, dass die Geologie “anthropozentrischer” wird, sondern wir halt insgesamt in allen Disziplinen (und eben besonders auch in der Geologie) viel systemischer an viele Dinge herangehen müssen. Spezialistentum in den einzelnen Disziplinen, um “wissenschaftliche Tiefgrabungen” zu machen und dazu sehr fokussiert zu arbeiten, braucht es natürlich weiterhin, aber das haben wir ja auch überall. Wir benötigen zusätzlich viel mehr inter- und transdisziplinäres, und echte systemische Ansätze. Das öffnet die Augen, zeigt, wie alles mit allem zusammenhängt und interagiert, und bringt uns damit auch wieder näher an die Natur heran.

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